Noma: Einer tödlichen Krankheit ein Gesicht geben

Noma: Einer tödlichen Krankheit ein Gesicht geben

Last Updated on February 13, 2024 by Joseph Gut – thasso

05. Februar 2024 – Noma ist eine Erkrankung, bei der viele Menschen am liebsten wegschauen. Der Anblick der betroffenen Kleinkinder ist unerträglich. Im Gesicht klaffen offene Wunden. Ganze Wangenpartien erscheinen wie weggefressen. Kinder, die eine Erkrankung überleben, bleiben ein Leben lang entstellt und kämpfen mit Sprachstörungen und Problemen beim Essen. Noma zerfrisst das Gesicht von Menschen wie dem 27 Jahre alten Aliyu aus Nigeria, der sein durch Noma  entstelltes Gesicht gerne mit einem Tuch  schützt (siehe oben grosses Bild)

Ende 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation die Infektionskrankheit Noma offiziell auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gesetzt. Damit kann die Armutserkrankung besser bekämpft und erforscht werden. Noma betrifft vor allem Menschen, die durch die Maschen einer schwachen Gesundheitsversorgung fallen. Dabei trifft Noma typischerweise Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Die Krankheit beginnt vermeintlich harmlos durch wundes Zahnfleisch und leichten Mundgeruch. In diesem Stadium wäre die Erkrankung mit einem Breitband-Antibiotikum einfach zu heilen. Unbehandelt breitet sich die Infektion innerhalb weniger Tage zu einer Gewebsnekrose aus. Erst sterben Weichteile ab, dann werden auch Knorpelstrukturen und Knochen angegriffen und von der Infektion förmlich weggefressen.

 

Die Zeitspanne, um die Krankheit zu erkennen und zu behandeln, ist extrem kurz, sagt Privatdozent Dr.  Steinmann, Epidemiologe am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut (Swiss TPH) und der Universität Basel. Bereits nach zehn bis zwölf Tagen sind die Schäden im Gesicht irreversibel. Momentan sterben schätzungsweise neun von zehn Kinder an den Folgen der Krankheit, da sie nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt werden. Bis betroffene Kinder von Orten mit schlechter Gesundheitsversorgung ins Gesundheitszentrum kommen, ist es oft schon zu spät.

 

Nur komplizierte plastische Operationen können betroffenen Kindern langfristig helfen. Kinder, die dieses Stadium der Krankheit überleben, haben oft grosse Teile ihres Gesichts verloren. Lippen sind entstellt, die Nasenpartie fehlt, ein angegriffener Kiefer verhindert beispielsweise das Kauen von Nahrung. Ohne komplizierte Operationen bleiben betroffene Kinder ein Leben lang gezeichnet, sehr oft stigmatisiert und ausgegrenzt.

Gesicht der Armut

Noma wird auch als das Gesicht der Armut bezeichnet. Denn die Krankheit tritt hauptsächlich in Gebieten mit extremer Armut auf, heute hauptsächlich in Afrika, Indien, Ostasien, Südostasien und Lateinamerika. Erste klinische Beschreibungen finden sich in Aufzeichnungen eines flämischen Chirurgen im 16. Jahrhundert. Insbesondere während Kriegszeiten und Perioden extremer Armut litten bis ins 20.   Jahrhundert auch in Europa Kinder an Noma. Zuletzt wurde die Krankheit bei Insassen in deutschen und sowjetischen Konzentrationslagern beobachtet.

Dank gestiegener Gesundheitsversorgung und höherem Lebensstandard ist Noma in Europa komplett verschwunden und damit auch in Vergessenheit geraten. In anderen Regionen dieser Welt ist die Krankheit noch immer verbreitet. Laut Schätzungen erkranken mehr als 140’000 Kinder jedes Jahr an Noma. Noma betrifft hauptsächlich Menschen, die extrem schwierig zu erreichen sind und abgeschieden leben, hält Dr. Steimann fest. Es sind Menschen, die weit entfernt von staatlichen Gesundheitseinrichtungen leben und oft durch die Maschen einer schwachen Gesundheitsversorgung fallen. Dr. Steinmann  hat zusammen mit Doktorierenden im Rahmen einer Studie die wissenschaftliche Evidenz zur Ausbreitung der Krankheit untersucht. Die Studie ist 2022 in der Fachzeitschrift Lancet Infectious Diseases erschienen

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Genaue Ursache ist unbekannt

Was die Krankheit auslöst, ist bis heute unklar. Wahrscheinlich entsteht sie als Folge einer bakteriellen Infektion bei gleichzeitig geschwächtem Immunsystem. Dazu kann extreme Mangelernährung führen, aber auch eine kürzlich durchgemachte Masern- oder Malariaerkrankung. Auch ein Mangel an Vitaminen oder Mineralien könnte die Kinder anfälliger auf eine Noma-Erkrankung machen, vermutet Dr. Steinmann.

Noma hinterlässt bleibende Veränderungen
Das entstellte Gesicht des 20-jährigen Bilya, welcher. als einjähriges Kind an Noma erkrankte

32 Länder unter Führung von Nigeria haben bei der WHO den Antrag zur Aufnahme von Noma auf die Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten gestellt. Grundlage dazu war die Arbeit eines internationalen Konsortiums von Wissenschaftlern, finanziert vom Swiss Network for International Studies, das den aktuellen Wissensstand rund um die Krankheit untersucht hat. Die Aufarbeitung des Wissens oblag dem Swiss TPH. Die Aufgabe des Swiss TPH war es, aus Untersuchungen in betroffenen Ländern und aus publizierten Studien das vorhandene Wissen zusammenzutragen. Dazu gehörte auch die Darstellung der weltweiten Ausbreitung. Bisher sprach man oft vom Noma-Gürtel, der sich von West- nach Ostafrika spannt. Die erhobenen Daten zeigen nun jedoch, dass Noma auch in Asien und Südamerika vorkommt. Damit lieferte die Untersuchung eine der Voraussetzungen für die WHO-Anerkennung als vernachlässigte Krankheit von globaler Bedeutung.

 

Die Aufnahme auf die Liste mit nun 21 vernachlässigten Tropenkrankheiten könnte neue Türen für die Finanzierung von Forschungsprogrammen öffnen, um Noma besser zu verstehen. Ebenso steht zu hoffen, dass durch das offizielle Engagement der WHO die Kontrolle und Eliminierung, die Prävention und Behandlung von Noma in betroffenen Gebieten verbessert werden können. An dieser behandelbaren Krankheit sollte eigentlich niemand leiden und sterben müssen. Alles was es dazu braucht sind Ernährungssicherheit und minimal funktionierende Gesundheitssysteme, welche auch abgeschiedene Bevölkerungsgruppen erreichen.

 

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Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.

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