Seltene Krankheiten: Keine Diagnose oder das teuerste Medikament der Welt?

Seltene Krankheiten: Keine Diagnose oder das teuerste Medikament der Welt?

Last Updated on March 15, 2024 by Joseph Gut – thasso

10. März 2024 – Anlässlich des internationalen Tages der seltenen Krankheiten am 28. Februar machte die Schhweizerische Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten auf die aktuellen Herausforderungen und Bedürfnisse von Betroffenen aufmerksam.

16375257-v10-gettyimages-1278800394.jpg

In Europa gilt eine Krankheit als selten, wenn sie höchstens 5 von 10’000 Personen betrifft. Jede seltene Krankheit ist für sich genommen selten, aber es gibt insgesamt mehr als 5000 davon (siehe dazu diese umfangreiche Liste), und so sind 6–8 Prozent der Bevölkerung – in der Schweiz also etwa eine halbe Million Menschen, so viele wie mit Diabetes – von mindestens einer seltenen Krankheit betroffen. Rund 75 Prozent der Betroffenen sind Kinder und Jugendliche. Andere seltene Krankheiten manifestieren sich erst allmählich im Erwachsenenalter und könnten jeden von uns treffen. So sind zum Beispiel in der Schweiz ungefähr 350’000 Kinder von einer seltenen Krankheit betroffen.

Weltweit leiden jedoch etwa eine Milliarde Menschen unter seltenen und noch viel mehr unter vernachlässigten Kranheiten (sogennanten Tropenkrankheiten) und sind in Gefahr, durch diese arbeitsunfähig, blind, entstellt und behindert zu werden oder zu sterben. Für Afrika trifft dies auf Flussblindheit, Dengue-Fieber, Schlafkrankheit, Schlangenbisse oder Lepra als einige bekannte Beispiele zu. Anders als Malaria, Tuberkulose und Aids betreffen diese Krankheiten nicht die Industrieländer, und auch Reisende sind selten gefährdet. Daher kommt wohl deren Vernachlässigung aus der Sicht der Industrieländer.

Wie werden seltene Krankheiten definiert?

Strenomelie (Meerjungfrau-Syndrom)

Seltene Erkrankungen führen häufig bereits im Kindesalter zu Symptomen, verlaufen meist chronisch und gehen oft mit deutlichen Beeinträchtigungen von Lebensqualität und Lebenserwartung einher. Grösstenteils handelt es sich dabei um genetische Erkrankungen mit komplexen und schwer zu deutenden Symptomen, deren Diagnostik und Therapie grosse Herausforderungen sind. Durchschnittlich vergehen 6 bis 8 Jahre, bis Menschen mit einer seltenen Erkrankung die richtige Diagnose und damit Zugang zu einer angemessenen Therapie erhalten. Sehr oft suchen die Betroffenen mehr als 7 Ärzte auf und rund 40 Prozent der Patienten erhalten in dieser Zeit mindestens eine Fehldiagnose, und gerade bei seltenen Erkrankungen ist die frühzeitige Diagnose und Behandlung oft entscheidend. Umso wichtiger ist es, die Aufmerksamkeit für diese Erkrankungen zu erhöhen und intensiv nach Therapiemöglichkeiten zu forschen. In anderen Teilen der Welt werden solche genetisch bedingte selten Erkrankung weniger entdeckt; sei es weil die Gesundheitssysteme genetische Analysen aus Kostengründen weniger anwenden, sei es dass das teilweise endemische Auftreten Erkrankungen basierend auf seltenen genetischen Grundlagen übertüncht und/oder die medizinischen Kapazitäten erschöpft.

Diagnose, Betreuung und Forschung sind schwierig

Europäische Gesundheitssysteme, inklusive das Schweizerische, decken vieles vorbildlich ab. Dennoch sind sie mit seltenen Krankheiten überfordert, sei es bei der Diagnose, Betreuung, Therapie und Forschung. Die richtige Diagnose und darauf basierend ein optimales Krankheitsmanagement oder sogar eine wirkungsvolle Therapie hat daher nur ein (Bruch-)Teil der Betroffenen. Aktuelle Probleme wie die Engpässe bei der Medikamentenversorgung, Ärzte- und Pflegemangel betreffen Menschen mit seltenen Krankheiten besonders, da deren Anliegen noch mehr unterzugehen drohen als zu normalen Zeiten.

Seltene Krankheiten sollen erkannt und behandelbar werden

In den letzten Jahren ist das Thema “Seltene Krankheit” immer mehr zu einem Politikum geworden, wobei leider nicht die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen.

Wenn die Zahl der von einer seltenen Krankheit betroffenen Patienten relativ gering ist, manchmal nur Hunderte, schlägt sich die finanzielle Belastung der Forschung auf den Behandlungspreis nieder: Sie erreicht enorme Zahlen. In einem vorliegenden Artikel werden die weltweit 10 teuersten Behandlungen pro Patient aufgeführt. Die drei Spitzenreiter dieser Liste sind dabei a) Luxturna (Voretigene neparvovec), mit welchem Erwachsene und Kinder mit einer bestimmten Art von Netzhautdystrophie (basierend auf einer seltenen Mutationen im Gen RPE65) behandelt werden. Es handelt sich um eine einmalige Behandlung mit einem Preis von 850’000 US-Dollar, b) Zokinwy (Ionafarnib) welches das erste und einzige Medikament ist, das zur Senkung des Sterblichkeitsrisikos beim Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom eingesetzt wird. Das Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom (HGPS) ist eine äußerst seltene Erkrankung, von der etwa einer von 20 Millionen Menschen betroffen ist. Zokinvy wird zweimal täglich verwendet, und die jählichen Kosten belaufen sich fuer den einzelnen Patienten auf mehr als 1 Million US-Dollar, und schliesslich c) Zolgensma (Onasemnogen abeparvovec-xioi) welches im Mai 2019 von der FDA als neuartige Gentherapie zur Behandlung der spinalen Musketatrophie (SMA) zugelassen und war zu jenem Zeitpunkt mit einem Preis von 2’125’000 US-Dollar das teuerste Medikament, das die Welt je gesehen hatte. Das Medikament richtet sich an Kinder unter zwei Jahren mit SMA, einschließlich Kinder, die noch keine Symptome zeigen, die Diagnose jedoch durch Gentests gestellt wurde. Es handelt sich um eine einmalige Behandlung, d.h., SMA wird durch eine einzige Behandlung geheilt, und diese Tatsache rechtfertig nach Argumentation der Beteiligten den extraorbitanten Preis der Therapie.

Wie das Beispiel des Ende 2022 für die Behandlung der seltenen Erbkrankheit Hämophilie zugelassene Hemgenix (Etranacogene dezaparvovec) zeigt, sind noch Steigerungen möglich  mit eine Preis von sagenhaften 3.5 Millionen US-Dollar pro Spritze.

 Keine Diagnose oder das teuerste Medikament der Welt: Das Dilemma

Keine “Krankheit” sondern ein ganz seltener genetisch bedingter Phenotyp. Nicht behandelbar.

Das oben Gesagte betrachtet könnte zu einer leicht modifizierten Fragestellung diesen Artikel betreffend führen: Statt “keine Diagnose” sollte es wohl  eher heissen     “Diagnose ja, jedoch nicht bezahlbare Therapie“. Auf der einen Seite haben wir die sog. “Seltenen Krankheiten” von denen wohl nur noch wenige ohne Diagnose oder völlig unerkannt bei allen unseren weltweiten Forschungsanstrengungen existieren; Auf der anderen Seiten haben wir höchst komplexe Therapieformen (zunehmend auf genetischen Verfahren beruhend) zur Verfügung, um solche Krankheiten zu behandeln oder sogar zu heilen (Beispiel Zolgensma). Das Dilemma besteht darin, dass der/die Patient/Patientin in Zentralafrika, deren/dessen seltene Krankheit sogar korrekt diagnostiziert wurde, aus finanziellen Gründen keine Chance hat, entsprechend therapiert zu werden. Dies mag auch pn den industrialisierten Gesellschaften des Nordens für versicherungstechnisch gesehen weniger privilegierte Bevölkerungschichten zutreffen; Hier sind Lösungen  von Nöten, sodass seltene Krankheiten gleichberechtigt werden zu allen uebrigen behandelbaren und bezahlbaren Krankheiten/Therapien. Es darf nicht sein, dass der Patient in Zentralafrika, welcher die vererbte genetische Variation zum nicht behandelbaren Albinismus trägt, das einzige Individuum ohne Therapie-Option bleibt; Hier sind weltweite Therapie-Zugangsprogramme zu schaffen mit solidarischen Finanzierungsmodellen;

Siehe hier einen Beitrag zu seltenen genetisch bedingten Krankheiten;

 

Haftungsausschluss: Bilder und/oder Videos (falls vorhanden) in diesem Blog können urheberrechtlich geschützt sein. Alle Rechte verbleiben beim Inhaber dieser Rechte.

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.

Leave a Reply

Optional: Social Subscribe/Login

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.