Cladribin: Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML)

Cladribin: Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML)

Last Updated on December 23, 2017 by Joseph Gut – thasso

06. Dezember 2017 – Das ist keine gute Nachricht zu Cladribin-haltigen Arzneimitteln, in Deutschland auf dem Markt unter den Handelsnamen von Leustatin oder Litak: Das deutsche Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat einen Rote-Hand-Brief zu Cladribin ausgesandt, welcher auf das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) mit Cladribin (Leustatin) oder Cladribin (Litak) hinweist.

Das Purin-Nukleosid-Analogon Cladribin ist in onkologischer Indikation zugelassen zur  Behandlung der Haarzell-Leukämie. Cladribin kann Myelosuppression, Immunsuppression sowie eine mehrere Monate andauernde Lymphopenie auslösen, wodurch das Risiko für eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) erhöht sein kann.

Die Zulassungsinhaber von Cladribin-haltigen Arzneimitteln in onkologischer Indikation informieren in einem Rote-Hand-Brief über Fälle von PML bei der Anwendung in onkologischer Indikation, darunter auch tödliche Fälle:

  • Die PML wurde sechs Monate bis mehrere Jahre nach Behandlung mit Cladribin-haltigen Arzneimitteln berichtet.
  • In mehreren Fällen wurde ein Zusammenhang zwischen Cladribin-haltigen Arzneimitteln und einer anhaltenden Lymphopenie berichtet.
  • Eine PML ist differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehen bei neuen oder sich verschlechternden neurologischen oder kognitiven Symptomen sowie Verhaltensauffälligkeiten.
  • Bei Verdacht auf PML dürfen Patienten nicht weiter mit Cladribin-haltigen Arzneimitteln behandelt werden.

Gemäss dem Rote-Hand-Brief werden die Fach- und Gebrauchsinformationen zu Cladribin (Leustatin) und Cladribin (Litak) entspreched aktualisiert. Interessanterweise ist Cladribin, unter dem Handelsnamen Mavenclad,  durch die EMA europaweit auch zugelassen zur Behandlung der hochaktiven schubförmigen Multiplen Sklerose. Die Produktinformation von Cladribin (Mavenclad) in dieser Indikation enthält bereits einen Warnhinweis zum Risiko einer PML.

Diese letzte Feststellung ist, gelinde gesagt,  sehr erstaunlich und lässt aufhorchen. Es gibt keinen Grund, für einen pharmakologischen Wirkstoff, Cladibrin in diesem Falle, welcher in seiner klinischen Anwendung ein Risiko für eine schwerwiegende, offenbar sogar tödlich verlaufende unerwünschte Arzneimittel-Nebenwirkung, PML im vorliegende Falle, gezeigt hat, dieses Risiko in den Unterlagen des Wirkstoffen bei einer Anwendung (Indikation), Schubförmige Multiple Sklerose in diesem Falle, zu deklarieren, und bei der Anwendung desselben Wirkstoffes in einer anderen Anwendung (Indikation), Behandlung der Haarzell-Leukämie, diese Risiko nicht zu deklarieren. Dies muss als schwerwiegendes Versagen der Zulassungsbehörden gewertet werden; offenbar haben die verschiedene Assessoren bei aller Dossier-Treue die Fähigkeit verloren, einen pharmazeutischen Wirkstoff quervergleichend (man nennt das “read across“) über alle vorliegenden Indikationen hinweg zu beurteilen. Das kann ein für den Patienten fataler Fehler sein.

Eine Frage, welche gegenwärtig die Zulassungsbehörden bei einer differenzierten Risikobewertung zur PML noch überfordert, ist sicher die, ob bei Patienten möglicherweise genetische Prädispositionen vorliegen, welche zur Entwicklung einer PML führen könnten. In neuester Literatur dazu wird vermutet, dass eine Reihe vom Kandidaten-Genen, welche alle in Erkankungen basierend auf Immunsuppression eine Rolle spielen, auch in der PML als prädisponierende Risiko-Faktoren in Frage kommen. Es handelt sich dabei um die WAS-,  WIPF11-, CD40LG-, DOCK8-, STAT3-, TYK2-, STK3-, DNMT3B-, ADA-, RAG1-, MST1-, LCK-, ITK-, PNP-,  and STAT1-Gene. Danach könnte zu Grunde liegende subtile und spezifische Immunschwäche die Mehrzahl der Fälle von PML erklären; es ist möglich, dass die zu Grunde liegende Immunschwäche klinisch nicht overt erkennbar ist, außer im Zusammenhang mit dem JC-Virus (JCV) (d.h., eine Immunschwäche, welche nicht zu anderen opportunistischen Infektionen führt, sich jedoch im Zusammenhang mit JVC und dem entsprechenden auslösenden Arzneimittel manifestiert). Zur kompletten Aufklärung dieser Prädisposition sind dazu jedoch noch weitere Studien nötig.

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Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.