Progressive Multifokale Leukoenzephalopathie (PML): Seltene Fälle nach Behandlung von MS-Patienten mit Fingolimod (Gilenya)

Progressive Multifokale Leukoenzephalopathie (PML): Seltene Fälle nach Behandlung von MS-Patienten mit Fingolimod (Gilenya)

Last Updated on December 6, 2017 by Joseph Gut – thasso

11 Juni 2016 – In Abstimmung mit Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut, hat Novartis Pharma über das Auftreten in der Vergangenheit  von vereinzelten Fälle von progressiver multifokaler Leukoenzephalopathie (PML) bei Patienten mit schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (MS) nach Behandlung mit Fingolimod (Gilenya) informiert. Ausserdem wurde auf wichtige Anwendungsempfehlungen hingewiesen und daran erinnert, dass diese neuen sicherheitsrelevanten Informationen bereits in der aktualisierten Fachinformation zu Fingolimod (Gilenya) vom 04. April 2016 eingefügt wurden.

Fingolimod
Fingolimod

Fingolimod (Gilenya) ist für die Behandlung von Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (MS) zur Reduzierung der Häufigkeit von Rückfällen und zur Verzögerung der Progredienz der Behinderung indiziert. Fingolimod wirkt als Sphingosin-1-PhosphatAnalogon. Es hält eine wichtige Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die Lymphozyten, in den Lymphknoten zurück und senkt so die Zahl von Lymphozyten, die in das Zentralnervensystem einwandern und dort Nervenbahnen von Patienten mit MS schädigen könnten.

Die Kernpunkte der aktuellen Firmenmitteilung sind die folgenden:

  • Seit Markteinführung wurden Novartis 5 Fälle von PML bei Patienten, die Fingolimod (Gilenya) einnahmen, gemeldet, welche nicht unmittelbar mit Tysabri® (Natalizumab) assoziiert waren.
  • Die Inzidenz von PML bei mit Fingolimod (Gilenya) behandelten Patienten wird auf etwa 1:30’000 Patienten geschätzt.
  • Ärzte sollten auf Symptome, wie Sprach- und Gangstörungen sowie Wesensveränderungen bzw. MRT-Befunde achten, die auf PML hindeuten.
  • Wenn PML vermutet wird, ist die Behandlung mit Fingolimod (Gilenya) zu unterbrechen, bis PML ausgeschlossen werden kann.
  • Ärzte sollten deshalb Ihre Patienten und deren Angehörigen über Symptome in diesem Zusammenhang informieren und sie zudem anweisen, einen Arzt zu Rate zu ziehen, falls solche Symptome auftreten sollten.
  • Grosses Blutbild vor Einleiten der Behandlung, in Monat 3, und danach mindestens einmal jährlich.

Die PML ist eine seltene opportunistische, durch das John Cunningham Virus (JCV) hervorgerufene Infektion, die tödlich verlaufen oder zu schweren Behinderungen führen kann. Die PML wird wahrscheinlich durch eine Kombination verschiedener Faktoren hervorgerufen. Die Risikofaktoren für die Entwicklung einer PML umfassen vermutlich das Vorhandensein von JCV, ein verändertes oder geschwächtes Immunsystem sowie Umwelt- und genetische Faktoren.

Bis heute wurden der Novartis Pharma 5 Fälle von PML nach Fingolimod (Gilenya) Behandlung gemeldet, welche nicht unmittelbar mit einer vorherigen Natalizumab (Tysabri)-Anwendung in Verbindung gebracht werden konnten. Von den 5 Fällen war einer asymptomatisch (wahrscheinlich PML), zwei hatten eine frühere immunosuppressive Therapie wegen einem Krebsleiden / einer ulzerativen Kolitis, und ein Fall wurde drei Jahre früher während 10 Monaten mit Natalizumab (Tysabri) therapiert. Die Latenzzeit ab Einleitung der Behandlung mit Fingolimod (Gilenya) war bei allen Fällen mehr als 2 Jahre. Die betroffenen Patienten wiesen keine anhaltende Lymphopenie vom Grad 4 auf und keiner der Fälle verlief letal. Die Diagnose wurde sowohl durch eine JCV-positive CSF-Analyse als auch durch ein MRT bestätigt. Natalizumab (Tysabri) ist ein Arzneimittel, das zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) eingesetzt wird, und wurde ebenso wie Fingolimod (Gilenya) mit seltenen Fällen von PML in Zusammenhang gebracht.

Bisher wurden mehr als 148’000 Patienten mit Fingolimod (Gilenya) behandelt (316’000 Patientenjahre) (Daten mit Stand Februar 2016, gemäss Novartis Pharma). Angesichts der gemeldeten Fälle liegt die Inzidenz einer PML bei einer Gilenya-Behandlung, ohne vorherige Exposition gegenüber Natalizumab (Tysabri) bei etwa 1:30’000 Patienten. Da eine frühzeitige Diagnosestellung und eine angemessene Behandlung der PML entscheidend für die Verbesserung der Folgen einer PML sind, empfiehlt Novartis Pharma, auf Anzeichen und Symptome einer möglichen PML-Infektion (wie Veränderung von Stimmung oder Verhalten, Erinnerungslücken, Schwierigkeiten beim Sprechen oder bei der Kommunikation) zu achten (unabhängig davon, ob sie auf klinischen Symptomen oder MRT-Aufnahmen basieren). Bei Verdacht auf PML sollte zu Diagnosezwecken umgehend eine MRT durchgeführt und die Behandlung mit Fingolimod (Gilenya)a bis zum Ausschluss einer PML ausgesetzt werden.
Wie oben empfohlen, muss bei Patienten unbedingt eine Überwachung des Blutes mit einem grossen Blutbild erfolgen, um das Risiko ein PML frühest möglich zu erkennen. Ein zentraler pharmakodynamischer Effekt von Gilenya ist eine dosisabhängige Reduktion der peripheren Lymphozytenzahl auf 20-30% des Baseline-Wertes. Grund dafür ist die reversible Umverteilung der Lymphozyten in den lymphatischen Geweben (d.h. es kommt nicht zur Apoptose). Die Lymphozyten bleiben funktionsfähig. Infolgedessen kann sich das Infektionsrisiko erhöhen. Allerdings ist es so, dass bei mit Fingolimod behandelten Patienten kein Zusammenhang zwischen niedrigen Lymphozytenwerten und Infektionen besteht. Vor Einleitung einer Behandlung sollte ein kürzlich durchgeführtes grosses Blutbild (d.h. innerhalb von 6 Monaten oder nach Abbruch einer früheren Therapie) vorhanden sein. Ein grosses Blutbild bzw. Differentialblutbild sollte nach drei Monaten und danach mindestens einmal jährlich gewonnen werden. Bei einer Gesamtlymphozytenzahl unter 0,1 x 109/L sollte die Behandlung bis zur Besserung pausiert werden. Bei einer Gesamtlymphozytenzahl unter 0,2 x 109 /L sollten Kontrollen alle drei Monate erfolgen. Aufgrund des Risikos additiver Auswirkungen auf das Immunsystem sollte eine gleichzeitige Anwendung von antineoplastischen, immunsupprimierenden oder immunmodulierenden Therapien nicht erfolgen. Entwickelt ein Patient eine schwerwiegende Infektion, sollte eine Unterbrechung der Behandlung mit Gilenya in Betracht gezogen und vor der Fortsetzung der Therapie eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.


Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.

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