Orofaziale Spalten: Können genetische Varianten ihre Entstehung verraten?

Last Updated on April 20, 2025 by Joseph Gut – thasso
19. April 2025 – Orofaziale Spalten (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten) gehören zu den häufigsten Geburtsfehlern und treten in den USA bei etwa einer von 1.050 Geburten auf. Weltweit sind sie jedoch ähnlich häufig, wobei die Häufigkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen leicht variiert. Diese Defekte, die entstehen, wenn das Gewebe, das die Lippe oder den Gaumen bildet, nicht vollständig zusammenwächst, werden vermutlich durch eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren verursacht.
Forscher am MIT haben nun herausgefunden, wie eine genetische Variante, die häufig bei Menschen mit diesen Gesichtsfehlbildungen vorkommt, zur Entstehung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten führt. Eliezer Calo, außerordentlicher Professor für Biologie am MIT, ist Hauptautor der Publikation, die im American Journal of Human Genetics erschienen ist. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Variante die Versorgung der Zellen mit Transfer-RNA, einem für den Proteinaufbau wichtigen Molekül, verringert. In diesem Fall können embryonale Gesichtszellen nicht mehr zu Lippe und Gaumen verschmelzen.
Die Forscher erklärten, dass die von ihnen entdeckte Verbindung bisher nicht nachgewiesen wurde. Es war bekannt, dass dieses Gen Teil des Komplexes ist, der am Spleißen von Transfer-RNA beteiligt ist, aber es war unklar, ob es für diesen Prozess und die Gesichtsentwicklung eine so entscheidende Rolle spielt. Ohne das Gen der ATP-abhängigen RNA-Helikase, bekannt als DDX1, können bestimmte Transfer-RNAs keine Aminosäuren mehr zum Ribosom transportieren, um neue Proteine zu bilden. Wenn die Zellen diese tRNAs nicht richtig verarbeiten können, können die Ribosomen keine Proteine mehr produzieren, so Michaela Bartusel, MIT-Forscherin und Hauptautorin der Studie.
Genetische Varianten
Lippen- und Gaumenspalten, auch orofaziale Spalten genannt, können durch genetische Variationen/Mutationen verursacht werden. Daher wurden viele Gene identifiziert, die zum Auftreten von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten beitragen. Dazu gehören insbesondere Sequenzvarianten in den Genen IRF6, PVRL1 und MSX1. Die genetischen Komplexitäten der molekularen Prozesse und Wege der Morphogenese orofazialer Spalten sind jedoch bislang noch nicht vollständig erforscht, vor allem weil bekannt ist, dass sie auch von Umweltfaktoren beeinflusst werden, so die Forscher. Die genaue Bestimmung der möglichen Auswirkungen erwies sich in diesem Zusammenhang als äußerst schwierig.
Um genetische Faktoren zu identifizieren, die eine bestimmte Krankheit beeinflussen, führen Wissenschaftler häufig genomweite Assoziationsstudien (GWAS) durch. Diese können Varianten aufdecken, die bei Menschen mit einer bestimmten Krankheit häufiger vorkommen als bei Menschen ohne diese Krankheit. Bei orofazialen Spalten schienen einige der in GWAS regelmäßig nachgewiesenen genetischen Varianten in einem DNA-Bereich zu liegen, der nicht für Proteine kodiert. In dieser Studie untersuchte das MIT-Team, wie Varianten in diesem Bereich die Entwicklung von Gesichtsfehlbildungen beeinflussen könnten.
Die Studien ergaben, dass diese Varianten in einer Enhancer-Region namens e2p24.2 lokalisiert sind. Enhancer sind DNA-Abschnitte, die mit proteinkodierenden Genen interagieren und deren Aktivierung unterstützen, indem sie an Transkriptionsfaktoren binden, die wiederum die Genexpression aktivieren. Die Forscher fanden heraus, dass diese Region in unmittelbarer Nähe zu drei Genen liegt, was darauf hindeutet, dass sie deren Expression steuern könnte. Eines dieser Gene war bereits als für Gesichtsfehlbildungen verantwortlich ausgeschlossen worden, bei einem anderen war bereits ein Zusammenhang nachgewiesen worden. In dieser Studie konzentrierten sich die Forscher auf das dritte Gen, bekannt als DDX1. Wie sich herausstellte, ist DDX1 für das Spleißen von Transfer-RNA (tRNA)-Molekülen notwendig, die eine entscheidende Rolle bei der Proteinsynthese spielen. Jedes Transfer-RNA-Molekül transportiert eine bestimmte Aminosäure zum Ribosom – einer Zellstruktur, die Aminosäuren nach den Anweisungen der Boten-RNA zu Proteinen aneinanderreiht.
Obwohl es im menschlichen Genom etwa 400 verschiedene tRNAs gibt, erfordert nur ein Bruchteil davon Spleißen, und diese tRNAs sind am stärksten vom Verlust von DDX1 betroffen. Diese tRNAs transportieren vier verschiedene Aminosäuren. Die Forscher vermuten, dass diese vier Aminosäuren besonders häufig in Proteinen vorkommen, die embryonale Zellen, die das Gesicht bilden, für ihre ordnungsgemäße Entwicklung benötigen.
Wenn die Ribosomen eine dieser vier Aminosäuren benötigen, aber keine davon verfügbar ist, kann das Ribosom inaktiv werden, und das Protein wird nicht gebildet. Die Forscher untersuchen nun, welche Proteine am stärksten vom Verlust dieser Aminosäuren betroffen sein könnten. Sie planen außerdem zu untersuchen, was in Zellen passiert, wenn die Ribosomen inaktiv werden, in der Hoffnung, ein Stresssignal zu identifizieren, das möglicherweise blockiert werden könnte und den Zellen das Überleben ermöglicht.
Fehlfunktion der tRNA
Obwohl dies die erste Studie ist, die tRNA mit kraniofazialen Fehlbildungen in Verbindung bringt, haben frühere Studien gezeigt, dass Mutationen, die die Ribosomenbildung beeinträchtigen, ebenfalls zu ähnlichen Defekten führen können. Studien haben auch gezeigt, dass Störungen der tRNA-Synthese – verursacht durch Mutationen in den Enzymen, die Aminosäuren an tRNA anheften, oder in Proteinen, die an einem früheren Schritt des tRNA-Spleißens beteiligt sind – zu neurologischen Entwicklungsstörungen führen können.

Defekte in anderen Komponenten des tRNA-Signalwegs stehen nachweislich mit neurologischen Entwicklungsstörungen in Zusammenhang, so die Forscher. Eine interessante Parallele zwischen beiden besteht darin, dass die Zellen, die das Gesicht bilden, aus derselben Quelle stammen wie die Zellen, die die Neuronen bilden. Daher scheinen diese Zellen besonders anfällig für tRNA-Defekte zu sein.
Die Forscher wollen nun untersuchen, ob Umweltfaktoren, die mit orofazialen Geburtsfehlern in Zusammenhang stehen, auch die tRNA-Funktion beeinflussen. Einige ihrer Vorarbeiten haben gezeigt, dass oxidativer Stress – eine Ansammlung schädlicher freier Radikale – zur Fragmentierung von tRNA-Molekülen führen kann.
Oxidativer Stress kann in embryonalen Zellen bei Kontakt mit Ethanol auftreten, beispielsweise beim fetalen Alkoholsyndrom oder wenn die Mutter einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelt.
Die Forscher halten es für sinnvoll, nach genetisch bedingten Mutationen zu suchen. Zukünftig wollen sie dies aber auch darauf ausweiten, welche Umweltfaktoren ähnliche Auswirkungen auf die tRNA-Funktion haben, und anschließend prüfen, welche Vorsichtsmaßnahmen Auswirkungen auf die tRNA verhindern können.
Hier finden Sie eine Sequenz zu orofazialen Spalten (im Deutschen oft auch Hasenscharte genannt):
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