Migräne: Neueste Arzneimittel und Placebo-Effekte

Migräne: Neueste Arzneimittel und Placebo-Effekte

Last Updated on January 7, 2018 by Joseph Gut – thasso

07. Januar 2018 –  Im Kommentar zur den Resultaten einer neuesten Studie aus dem New England Journal of Medicine (NEJM) zur Behandlung von Migräne mit dem neuen Wirkstoff Fremanezumab findet sich die etwas bizarre Feststellung, dass die Studie auch eine Placebo-Gruppe enthielt, bei der bei 18,1 Prozent der Teilnehmenden ein Rückgang der Schmerzen zu verzeichnen war, und somit ein Placebo-Effekt für die Wirkung von Fremanezumab ausgeschlossen werden könne.

Diese lapidare Feststellung lässt darauf schliessen, dass die Autoren noch nichts von der neuesten Forschung zu Placebomics gehört haben. Die Arbeiten in Placebomics deuten sehr stark darauf hin, dass Placebo-Effekte a) real sind, b) auf genetischen Prädispositionen von Individuen für diesen äussert komplexen Phänotypen beruhen, und c) durchaus ein Problem im Design und in der Interpretation von klinischen Studien darstellen können.

Natürlich wurde in der vorliegenden Studie festgestellt, dass die individuelle Kopfschmerz-Belastung pro Monat bei 37,6 Prozent der Teilnehmenden mit monatlicher Therapie die Kopfschmerzen um die Hälfte zurückgegangen waren; bei vierteljährlicher Therapie waren es sogar 40,8 Prozent der Patienten. Die Arbeiten in Placebomics zeigen jedoch auf, dass in traditionell entworfenen klinischen Studien in den Behandlungsgruppen immer auch Individuen mit genetisch bedingter Placebo-Prädispostion vertreten sind, und daher die Anzahl der Individuen, welche eine echte Wirkung gegenüber dem geprüften Wirkstoff zeigen, gar nicht verlässlich von der Anzahl der “Placebo-Indiviuen” innerhalb der Studiengruppe unterschieden werden kann. Die Einführung von “Nichtbehandlungs”-Studiengruppen wäre dazu nötig.

Fremanezumab gehört zu einer Reihe von neuen Wirkstoffen wie Eurenumab (Aimovig), Galcanezumab, und Eptinezumab,welche im Endstadium ihrer klinischen Entwicklung, oder kurz vor/in der Zulassung zur prophylaktischen Behandlung der Migräne stehen. Alle diese monoklonaler Antikörper richten sich gegen das “Calcitonin Gene Related Peptide” (CGRP). CGRP spielt im pathophysiologischen Geschehen der Migräne eine maßgebliche Rolle. Als proinflammatorisches Neuropeptid wirkt CGRP  stark Wie das Medikament "Erenumab" von Novartis, soll auch Fremanezumab mit einer Spritze verabreicht werden.gefäßerweiternd und ist zentral an der Schmerzauslösung sowie der neurogenen Entzündung beteiligt. Patienten weisen während akuter Migräneattacken erhöhte CGRP-Spiegel auf. Wissenschaftler schreiben CGRP hier eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung des Migräne-Schmerzes zu.

In der veröffentlichen Studie zu Fremanzumab nahmen 1130 Migräne-Patientinnen und -Patienten teil. Hatten Migräne-Patienten den Wirkstoff «Fremanezumab» vierteljährlich oder einmal pro Monat erhalten, reduzierten sich die Tage mit Kopfschmerzen pro Monat im Schnitt um 4,3 bzw. 4,6 Tage. Bei einigen Studienteilnehmenden blieben Migräne-Attacken mit der Therapie sogar ganz aus, bei anderen verringerten sie sich um 75 Prozent. Die Tatsache, dass die angesprochenen Wirkstoffe als monoklonale Antikörper nur ein mal pro Monat oder eventuell nur einmal pro Vierteljahr verabreicht werden müssen, kann als Erleichterung der Therapie gewertet  werden; allerdings handelt es sich dabei um Injektionen, welche möglicherweise nicht von jedem Patienten geschätzt werden.

Was ist Migräne überhaupt? Migräne ist eine unter über 200 Arten von Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen können bei Migräne-Anfällen typischerweise im Zusammenhang mit Übelkeit, Erbrechen, Licht-, Geräusch- und Geruchsempfindlichkeit auftreten. Der Schmerz im Kopf tritt halbseitig und pulsierend bzw. pochend auf. 20 Prozent der Betroffenen leiden unter einer Migräne mit Aura. Bei einem Aura-Anfall kommt es vor dem Eintreten der Kopfschmerzen zu neurologischen Reiz- und Ausfallerscheinungen. Am häufigsten tritt die visuelle Aura auf, bei der es vor allem zu Sehstörungen, Flimmern und Gesichtsfeldausfällen kommen kann. Nicht selten treten auch Symptome, wie Sesibilitätsstörungen und Sprachstörungen auf.

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Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.