Levothyroxin-Natrium (Euthyrox): Rote-Hand-Brief

Levothyroxin-Natrium (Euthyrox): Rote-Hand-Brief

Last Updated on April 14, 2019 by Joseph Gut – thasso

14. April 2019 – Mittels eines Rote-Hand-Briefes zu Levothyroxin-Natrium (Euthyrox) informieren das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Firma Merck Serono GmbH als Zulassungsinhaberin,  dass ab Mitte April / Anfang Mai 2019 eine neue Zusammensetzung der Levothyroxin-Natrium (Euthyrox) Tabletten erhältlich sein wird.

Gemäss der Firma bietet die neue Zusammensetzung (Formulierung) eine verbesserte Stabilität von Levothyroxin-Natrium über die gesamte Haltbarkeit des Arzneimittels. In der neuen Formulierung wurde der Hilfsstoff Lactose, ein Bestandteil mit bekannter Wirkung bei Patienten mit Lactose-Intoleranz, durch Mannitol und Zitronensäure ersetzt, währenddem der pharmakologischen Wirkstoff Levothyroxin-Natrium unverändert geblieben ist. Ebenso bleibt die Art der Einnahme von Levothyroxin-Natrium (Euthyrox) ist unverändert. Bei Patienten, die zu Levothyroxin-Natrium (Euthyrox)  Tabletten in der neuen Zusammensetzung wechseln, wird eine engmaschige Kontrolle empfohlen, da aufgrund des engen therapeutischen Fensters von Levothyroxin Veränderungen der Schilddrüsenstoffwechsellage auftreten können.

Levothyroxin wird zur Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) angewendet. Patienten / Patientinnen mit dieser Krankheit brauchen in der Regel einen lebenslangen Hormonersatz. Dabei wird das Arzneimittel als Tablette nüchtern mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen, um die Aufnahme des tendenziell schlecht resorbierbaren Hormons (Levothyroxin) im Darm zu optimieren. Die Dosis liegt beim Menschen meist zwischen 12,5 µg und 200 µg pro Tag. Für die Behandlung des schweren hypothyreoten Komas gibt es auch intravenöse Formen von Thyroxinen (wie Levothyroxin).

Auf den ersten Blick handelt es sich hier um eine “lapidare” Mitteilung, welche wohl weder von betroffenen Patienten / Patientinnen noch von den behandelnden (verschreibenden) Ärzten besonders beachtet werden wird. Dies wäre allerdings ein möglicherweise fataler Fehler.

So wurde in Frankreich im März 2017 die gleiche neue Formulierung von Levothyrox, wie das Arzneimittel in Frankreich heisst, eingeführt. Seitdem reissen die Beschwerden von Patienten / Patientinnen über unerträgliche unerwünschte Nebenwirkungen des “neuen” Levothyrox, welche mit dem “alten” Levothyrox zwar auch bekannt, jedoch viel weniger häufig waren, nicht mehr ab. Als Folge wurden dem französischen Netzwerk von Pharmakovigilanz-Zentren mehrere Tausend unerwünschte, teils gravierende bis hin zu fatalen, Arzneimittelwirkungen gemeldet.

Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Toulouse hat nun in einer Studie, welche Ende März 2019 in der Zeitschrift Clinical Pharmacokinetics erschienen ist, gezeigt, dass etwa 60% der 204 gesunden Freiwilligen, die an einer sogennanten Bioäquivalenzstudie teilnahmen, tatsächlich außerhalb des a-priori-Bioäquivalenzbereichs für die neue Formulierung lagen. d.h., diese Personen hatten mit der neuen Formulation Levothyroxin-Expositionen ausserhalb der klinisch akzeptierbaren Normwerte.

Dies könnte bedeuten, dass es eben nicht unproblematisch sein kann, eine Formulierung durch eine andere zu ersetzen, und dass zur Abschätzung von Risiken sowas wie die von den Autoren der Studie neu vorgeschlagene individualisierte (auf das einzelne Individuum abgestimmte) Bioequivalenz zum Tragen kommen müsste.

In Frankreich wird es interessant sein zu verfolgen, wie sich diese neuen Erkenntnisse auf die gerichtlichen Klagen von mehr als 4’000 betroffenen Schilddrüsenpatienten mit Nebenwirkungen nach ihrem Wechsel auf das “neue” Levothyrox gegen den Hersteller Merck Lab auswirken werden. Kurz vor Bekanntwerden der obigen Studie wurden diese Klagen von einem Zivilgericht nämlich abgewiesen, unter anderem  aus Mangel dieser Erkenntnise. Unter den neuen Voraussetzungen sind nun Revisionen und neue Klagen im Gang.

Sehen Sie hier eine kurze Sequenz zu Hypothyreose:

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Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.