Klinische Phase I Studie mit BIA 10-2474 mit einem Todesopfer: Enttäuschender Abschlussbericht des Expertenkomitees (CSST)

Klinische Phase I Studie mit BIA 10-2474 mit einem Todesopfer: Enttäuschender  Abschlussbericht des Expertenkomitees (CSST)

Last Updated on May 16, 2016 by Joseph Gut – thasso

12. Mai 2016 – Ende Januar 2016 bestellte die französische Arzneimittelzulassungsbehörde ANSM einen spezialisierten temporären wissenschaftlichen Ausschuss (CSST) von nationalen und internationalen Experten, um die Vorkommnisse rund um die klinische Phase-1 Studie, welche Anfangs Januar 2016 mit dem Wirkstoff BIA 10-2474 vom  medizinische Labor Biotrial am Universitätsspital in Rennes im Auftrag der portugiesischen Pharmafirma Bial durchgeführt wurde, und in deren Verlauf es zu einem schwerwiegenden Zwischenfall kam, bei dem ein Proband den Hirntod erlitt und weitere fünf Probanden mit schweren neurologischen Schäden hospitalisiert werden mussten, zu untersuchen. Einige der betroffenen Probanden müssen mit bleibenden neurologischen Schäden rechnen.

Die Experten des CSST untersuchten vorab die pharmakologischen und toxikologischen Ursachen, welche möglicherweise zum Tod des Probanden im Rahmen dieser Phase-I Studie führten, und weitere Probanden möglicherweise lebenslang behindert zurücklässt, und präsentierten kürzlich den Abschlussbericht. Die abschliessenden Ergebnisse der Untersuchung

Chemische Struktur von BIA-10-2474
Chemische Struktur von BIA-10-2474

unterscheiden sich geringfügig von denjenigen, welche in einem Zwischenbericht Ende Februar 2016 bereits diskutiert wurden. Die einzige neue und gute Nachricht besteht darin, dass bei keinem der weiteren zirka 90 Probanden, welche vor dem fatalen Ereignis von Anfang Januar 2016 schon in der klinischen Studie zu Bia 10-2474 teilgenommen hatten, irgendwelche klinische Anomalien festgestellt wurden.

Bezüglich der Verantwortlichkeit für das tragische Ereignis dreht man sich jedoch nach dem Abschlussbericht des CSST weiterhin im Kreise. Es bleibt offen, ob weitere, wohl noch folgende gerichtliche Abklärungen weitere Einsichten in allfällige Verantwortlichkeiten, sei es beim ANSM, bei Biotrail, oder bei der Firma Bial ergeben.

Wissenschaftlich kommt das CSST zum Schluss, dass der Grund für das schlimme Ereignis höchst wahrscheinlich in einer sogenannten “Off-Target”-Toxizität liegen muss. “Off-Target” heisst in diesem Zusammenhang, dass eine Toxizität aufgetreten ist, welche nicht durch eine Wirkung des pharmakologischen Wirkstoffes BIA 10-2474 an seinem eigentlichen “Target”, d.h. dem FAAH (Fettsäureamid-Hydrolase)-Protein als Rezeptor im vorliegenden Falle, vermittelt wurde.

Das CSST stellte fest, dass es in präklinischen Studien in Ratten und Mäusen offenbar vereinzelt strukturelle Veränderungen im Gehirn, insbesondere im Hippocampus, bei sehr hohen Dosen gegeben hatte. Nach Meinung der Experten des CSST genügten diese Beobachtungen jedoch nicht, um daraus ein valides Gefahrensignal für mögliche neurologische Schäden abzuleiten, vor allem auch, weil bisher in der präklinischen Entwicklung von FAAH-hemmenden Molekülen scheinbar keine entsprechenden neuronalen Toxizitäten in präklinischen Modellen beobachtet wurden. In diesem Zusammenhang ist es sicher interessant zu verfolgen, dass am 13. April 2016 das französiche Blatt “Le Figaro” Beobachtungen aus einem internen Bericht des ANSM publik gemacht hat, aus welchen hervorgeht, dass  der zuständige präklinische Assessor des ANSM im Verlaufe der Prüfung der präklinischen Daten zur vorliegenden Studie sehr wohl auf eine mögliche neurologische Toxiziät, basierend auf beobachteten Läsionen im Gehirn von einzelenen Mäusen, Ratten, Hunden, und Affen aufmerksam gemacht hat. Diesem Punkt wurde dann offenbar von den klinischen Assessoren nicht genügend Gewicht beigemessen, und der Effekt wurde nicht weiter verfolgt. So findet sich denn in der Investigators-Brochure offensichtlich kein Hinweis auf diese präklinische Beobachtung, welcher die klinischen Forscher auf die vielleicht versteckte und seltene neurologische Gefahr von BIA 10-2374 hätte aufmerksam machen können. Da es sich hier natürlich um Risikoabwägungen handelt, können beobachtete Effekte präklinisch und klinisch durchaus unterschiedlich gewichtet werden; folgedessen sah das CSST hier kein Problem.

Obwohl dies nicht die primäre Aufgabe des CSST war, macht das Gremium in seinem Abschlussbericht dennoch einige Vorschläge, wie in Zukunft gravierende Ereignisse wie in der vorliegenden klinischenPhase-1 Studie mit BIA 10-2474 vermieden werden können. Diese Vorschläge basieren auf einigen vom CSST festgestellten Mängeln der vorliegenden Studie, die da wären:

  • das Fehlen eines klaren rationalen pharmakologischen Effekts (keine Dosis-Wirkung Beziehungskurve in Tiermodellen);
  • unvollständige Einschluss- und Überprüfungs-Kriterien für Patienten (keine europsychologische Beurteilung, obwohl ein CNS-aktives Produkt getestet werden sollte);
  • eine  Nicht-Anpassung der Dosen beim Menschen basierend auf der Pharmakodynamik (die hemmende Konzentration scheint beim Menschen 10-mal niedriger zu sein als in den präklinischen Tiermodellen);
  • gewagte Dosiseskalation in  klinischem und pharmakologischem Sinn (geometrische Progression bei hohen Dosen);
  • gleichzeitige, nicht sequentielle Exposition von Probanden der Kohorte mit der nächst höheren Dosis, obwohl die Pharmakokinetik der Kohorte mit der vorangegangenen niedrigeren Dosis noch nicht bekannt war.

Einige dieser Punkte sind allerdings in der Richtlinie der EMA für die Durchführung von sogenannten FIM (first in man)-Studien und Phase-1 Studien adressiert, und im vorliegenden Fall nicht oder ungenügend berücksichtigt worden. Insbesondere wurde möglicherweise der etwas eigenartigen apparenten Pharmakokinetik von BIA 10-2474 nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Danach soll BIA 10-2474 nach einer Einzeldosis beim Menschen eine Halbwertszeit (t1/2) von 72 Stunden haben. Wiederholte Gaben, nach jeweils 24 Stunden über mehrere Tage, könnte zu einer Akkumulation der Ausgangsverbindung oder aber intermediärer und finaler Metaboliten führen, deren Konzentrationen und pharmakologischen und/oder toxikologischen Wirkungen aus präklinischen Tiermodellen nicht notwendigerweise im Detail bekannt sind. Dies könnte für BIA 10-2474, einer Nitron-Verbindung (siehe chemische Struktur im Bild oben), durchaus zutreffend sein. Aus dieser Sicht wäre in der vorliegenden Studie eine strikt sequentielle Exposition von Probanden innerhalb der betroffenen Kohorte wohl angezeigt gewesen, um allfällige Risiken für beteiligte Probanden dieser Dosis-Gruppe mit wiederholter Gabe von BIA 10-2474 möglichst klein zu halten. Dies war in der Studie mit BIA 20-2474 bei Biotrial in Rennes nicht der Fall.

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Professor in Pharmakologie und Toxikologie. Experte in theragenomischer und personalisierter Medizin und individualisierter Arzneimittelsicherheit. Experte in Pharmako- und Toxiko-Genetik. Experte in der klinischen Sicherheit von Arzneimitteln, Chemikalien, Umweltschadstoffen und Nahrungsinhaltsstoffen.